# An den Betroffenenrat beim UBSKM

LUTZ VAN DIJK antwortet auf die Stellungnahme des Betroffenenrates

Betr.: Ihre heutige Presseerklärung/Stellungnahme zum Buch von Hartmut von Hentig

Sehr geehrte Damen und Herren!

Im Internet wurde ich aufmerksam auf Ihre heutige Presse-Erklärung / Stellungnahme zum Buch von Hartmut von Hentig

Sie schreiben darin u.a.:

„Bestürzt ist der Betroffenenrat auch darüber, dass sich im Umfeld des Verlages Wamiki ein Kreis der Unterstützer von Hentigs formiert und die Rezeption des Buches medial günstig zu beeinflussen und zu steuern versucht (http://noch-immer-mein-leben.de/). Namentlich zu nennen ist diesbezüglich Dr. Lutz van Dijk. Wir als Betroffene sexueller Gewalt kennen solche Versuche des Kampfes um Deutungsmacht seit Jahrzehnten: Dulder, stille Unterstützer oder lautsprechende Leugner melden sich zu Wort, wann immer sexuell motivierte Verbrechen an Schutzbefohlenen bagatellisiert, bestritten oder tabuisiert werden müssen. Auch und gerade dazu sagen wir: Nein!“

Ich gehe davon aus, dass Sie meinen Brief vom 1. Juli an die Vorsitzende der Kommission, Frau Prof. Andresen und das Kommissionsmitglied, Herrn Prof. Brachmann, kennen sowie auch den Antwortbrief von Frau Prof. Andresen mit dem Vorschlag, ein Telefonat mit einem weiteren Kommissionsmitglied, Herrn Prof Keupp, in der Sache zu führen.

Dieses fand einen Tag später statt. Ich bin sicher, dass Herr Prof. Keupp bestätigen wird, dass ich in dem Telefonat mehr als deutlich machte, dass ich kein unkritischer Unterstützer von Herrn von Hentig bin und schon gar kein „Dulder“ oder gar „lautsprechender Leugner“ von sexuellem Kindesmissbrauch bin, wo immer er geschieht. Mehr als die Hälfte des ca. 45 minütigen Telefonats berichtete ich Herrn Prof. Keupp von der extrem schlimmen Situation rundum sexuellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Südafrika, wo ich seit 16 Jahren lebe und arbeite (wir haben die weltweit höchste Missbrauchsrate !) und in welchen Zusammenhängen ich dort konkret gegen jede Form von Missbrauch engagiert bin. Er berichtete mir von einer internationalen Konferenz in Berlin im November, und ich schlug ihm vor, wenn möglich, südafrikanische Kolleginnen (zum Beispiel von der landesweiten Initiative „Rape Crisis“) einzuladen.

In diesem Sinne ist die Arbeit der Kommission und auch die von Ihnen als Betroffenenrat weit über Deutschland von höchster Bedeutung. Auch dies habe ich sowohl gegenüber Herrn Prof. Keupp als auch in meinem Brief vom 1. Juli deutlich gemacht.

Von Beginn der endlich öffentlich geführten Diskussion über sexuellen Missbrauch in Deutschland beschäftigt mich darüber hinaus die Frage, warum so viele sich als fortschrittlich begreifende Pädagoginnen und Pädagogen deutlich blind gegenüber ersten Zeichen von Missbrauch waren, ja selbst noch als einige von Ihnen als Betroffene mutig und gegenüber scheinbar übermächtiger Ignoranz, sich öffentlich Ihr Recht erkämpften, endlich gehört zu werden. Vielleicht unterscheide ich mich von Ihnen darin, dass ich es nicht für hilfreich finde, die Welt nur in Opfer und Täter einzuteilen – und dabei eventuell die meist größte Gruppe der Mitwisser und Mitläufer aus dem Auge zu verlieren.

Der Berliner Wamiki Verlag ist seit seiner Gründung fürs Querdenken bekannt, fürs Aussprechen und Zulassen auch kontroverser Diskurse. Darum geht es auch meinem Kollegen Prof Zimmer und mir in unserem Aufruf zum Diskurs – eben nicht zum blinden Ja- (oder Nein-) Sagen, zum leichten Verurteilen, das oft mehr aussagt über den Verurteiler als über den Verurteilten.

Bitte erlauben Sie mir, dass ich mit Ihnen meine Zweifel teile, ob es Ihnen und Ihrer wichtigen Sache hilft, mich „bestürzt“ in einer Weise zu brandmarken, die jeglicher Realität meines alltäglichen Handelns und Denkens widerspricht.

Auch wenn Ihnen dies gegenwärtig als provozierende Aussage erscheint: Hartmut von Hentig zu verurteilen ist leicht und – verzeihen Sie – derzeit für Mehrheiten schlicht opportun.

Dagegen auch seine Widersprüche, seine Entschuldigungen und seine Gedanken am Ende eines langen Lebens, in dem er in Deutschland eine ganze Generation von Lehrerinnen und Lehrer wie nur wenige andere beeinflusste, zur Kenntnis zu nehmen, sollte auch Anlass für selbstkritisches Überprüfen jener oben benannten Blindheiten sein. Dies trifft selbstredend NICHT für Sie als individuelle Mitglieder des Betroffenenrates zu, da Sie über viele Jahre auf schlimme Weise gezwungen waren, allein mit dem Namen und dem seines Freundes immer wieder nur Gewalt zu assoziieren.

Für die vielen jedoch, die ihn jahrzehntelang verehrten und nun an den Pranger stellen, ohne über sich selbst nachzudenken, kann das Buch eine Funktion haben. Ob die Zeit dafür in Deutschland reif ist, kann ich aus dem Abstand von Südafrika nicht ausreichend beurteilen.

Ich wünsche Ihnen und der Kommission uneingeschränkt Erfolg und weiter eine interessierte und unterstützende Öffentlichkeit, auch jenseits von kurzfristigen Aufmerksamkeiten für das Sensationelle und Spektakuläre.

Zu einem vertiefenden Dialog sowohl mit Ihnen als auch der Kommission, sowohl über die Situation in Südafrika als auch in Deutschland, bin ich jederzeit bereit.

Ich habe nicht Ihre derzeitigen Möglichkeiten, auch öffentlich auf Ihre Presseerklärung zu reagieren und bitte Sie deshalb um Verständnis, dass ich meine Antwort auch an wenige Journalisten sowie einige Kolleginnen und Kollegen sende, mit denen ich in der Sache schon eher kommunizierte (und auch für die  Verlagswebsite vorschlagen werde, sowohl Ihre Erklärung als auch meine Antwort zu veröffentlichen).

Mit Bitte um faire Kommunikation auch bei abweichenden Einschätzungen, aber nicht grundsätzlich konträren Zielen,
bleibe ich mit freundlichem Gruß,
Lutz van Dijk

Dr Lutz van Dijk
www.lutzvandijk.co.za

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