„In bisher nie dagewesener Ausführlichkeit und Gründlichkeit werden die Phänomene der Pädophilie und der Umgang mit ihr in der Öffentlichkeit von Hartmut von Hentig im dritten Band seiner Autobiographie bedacht“, notiert PETER KERN auf seinem Blog im „Haus des Verstehens“.
Hartmut von Hentig: Noch immer mein Leben.
Erinnerungen und Kommentare aus den Jahren 2005 bis 2015.
Berlin 2016, 1392 Seiten:
Die ersten sechs Kapitel handeln noch nicht explizit vom Pädophilen-Skandal an der Odenwaldschule.
Kapitel 7:
Gerold Becker – wie ich ihn erlebt habe, S.449ff.
Kapitel 8:
Mit-Teilungen – wie ich sie dem Freund gern machen würde, S.487ff.
Kapitel 9:
„Götterdämmerung im Odenwald“ – Vorgänge und Nachrichten, S.579ff.
Kapitel 10:
Missbrauchte Arglosigkeit – ich gehe in die Falle, S.658ff.
Kapitel 11:
Fünf große Zeitungen brechen den Stab über mir, System, S.697
Kapitel 12:
Fünf Publikationen fordern Entgegnung – jedenfalls von mir, S.765ff.
Kapitel 13:
Fünf Mal Widersprüchliches – die Mythen der anderen, S.940ff.
Kapitel 14:
Fünf Menschen wollen helfen – ich habe von ihnen gelernt, S.950ff.
Kapitel 15:
Fünf Ereignisse tun Wirkung – lauter Kalamitäten, S.1000ff.
Kapitel 16:
Fünf Distanzierungen – Kummer, S.1044ff.
Kapitel 17:
Folgen – nicht nur für mich, S.1074ff.
Kapitel 18:
Eine befreite Sprache – Bekenntnisse, S.1144ff.
Es folgen noch zwei Kapitel, die nicht mehr unmittelbar vom Pädophilen-Skandal an der Odenwaldschule handeln.
Die Reaktionen auf diesen dritten Band der Autobiographie von Hartmut von Hentig ließen nicht lange auf sich warten.
Die Opfer der Odenwaldschule sind erbost über die Autobiographie von Hartmut von Hentig. Dort verkläre er den Missbrauch an der Odenwaldschule und suche die Fehler bei Journalisten und Opfern. Der einst angesehene Pädagoge fürchte um seinen Ruf und schreibe sich die vergangenen Jahre seines Lebens schön. (Vgl. Pitt von Bebenburg: Opfer empört über Hentig-Autobiographie, in: Frankfurter Rundschau vom 18. Mai 2016.)
Den Trend der Rezeption hatte schon vor Auslieferung des Buches Bernhard Pörksen in der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 05.Mai 2016 vorgegeben: „Nach dem Schweigen. Der Reformpädagoge Hartmut von Hentig hat ein Buch geschrieben, über den Missbrauch an der Odenwaldschule und die Verbrechen seines Freundes Gerold Becker. Es ist ein fatales Dokument der Selbstrechtfertigung.“
__________
Nun, ich habe die fast 1400 Seiten studiert. Ganz so einfach scheint mir der Sachverhalt nicht zu sein. Haben die Kritiker das Buch überhaupt gelesen? Selbstrechtfertigung? Weniger, wohl aber will da ein kluger Kopf verstehen, was passiert ist. Und dass lässt sich mit journalistischen Schnellschüssen nicht erledigen.
Freilich, wer nur die Überschriften der einschlägigen Kapitel 7 bis 18 liest, der wird ein gesondertes Kapitel über die Opfer vermissen…
Manche Leserin, mancher Leser mag sich fragen, ob es nicht wichtigere Themen zu bedenken gäbe in Zeiten von Terroranschlägen, nationalen Egoismen und Putschversuch.
Gewiss, aber all diese Probleme sind auch Ausdruck fehlgelaufener Bildungsprozesse. Wenn heute mit Blick auf den Odenwaldschul-Skandal gleich die ganze Reformpädagogik in den Mülleimer der Geschichte getreten wird, dann erhebt sich die Frage, ob die gegenwärtige Schule mit ihrem berechnenden Denken ein Damm gegen Inhumanität sein kann.
Die Antwort ist ein klares Nein.
Hartmut von Hentig war kein Reformpädagoge im historischen Verständnis dieses Begriffs, er war ein Reformer der herrschenden Pädagogik. Ihm ging und geht es um eine Bildung, die mehr ist als das vermessene Trainingsprogramm zur Abrichtung der jungen Menschen für die ökonomischen Kampfarenen der globalisierten Welt.
Vielleicht erklärt auch das die Lust seiner Kritiker am Denkmalsturz.
Mehr philosophische Peanuts von Prof. Dr. Peter Kern gibt es hier:
http://haus-des-verstehens.ch/