Auf diesem Forum kommen die verschiedenen, einander widersprechenden, oft polemischen Meinungen zu Wort. Zum „Angriff“ von Damian Miller auf etliche in diesem Forum veröffentlichte Äußerungen hat einer der namentlich genannten Autoren, Hartmut von Hentig eine Gegendarstellung geschrieben. Der Text ist lang und könnte schon dadurch manche Nutzer von der Lektüre abhalten. Um ihnen den Zugang zu erleichtern, haben wir im Folgenden die wichtigsten Argumente und Fragen drastisch gerafft und stellen diese Zusammenfassung Hentigs Text voran.
(1) In seinem Artikel mit der Überschrift „Jeder Missbrauch hat Mitwisser“ behauptet Damian Miller erneut, von Hentig verteidige in seinem dritten Erinnerungsband einen Haupttäter im Missbrauchsskandal der Odenwaldschule.
H. von Hentig: Dies sei falsch; er verteidige nicht Gerold Becker, sondern sich selbst gegen den Vorwurf, von dessen Taten gewusst zuhaben.
(2) Miller behauptet, auf dieser Webseite und im Buch werde die Demütigung von Gerold Beckers Opfern weiter betrieben.
H. von Hentig: Diese schwere Beschuldigung hat nie gestimmt und werde durch keinerlei Nachweis aus dem nunmehr gewaltigen Volumen gedruckter Sätze gestützt.
(3) Statt erwartbarer demütigender Zitate, spielt Miller auf einen Satz aus Hentigs „Klarstellung“ an, „mit den Kindern, die sie damals waren“ hätte er Mitgefühl empfunden und wäre ihnen, hätte er von ihrer Not gewusst, zu Hilfe gekommen. Daraus macht Miller: „Wären die Opfer 30 Jahre später die Kinder geblieben, wäre er (Hentig) ihnen beigesprungen, nicht aber jetzt, wo sie Aufklärung und Wiedergutmachung verlangen.“
H. von Hentig: Der erste Teil des Satzes verkehre seine Aussage in baren Unfug. Niemand „bleibt“ Kind. Den zweiten Teil des Satzes hat Miller erfunden.
(4) Damian Miller schreibt, nachdem er festgestellt hat, von Hentigs „Mitgefühl kennt offensichtlich ein Verfallsdatum“: „Das Aussetzen des Mitgefühls entspricht just dem pädagogischen Eros (…) vieler Reformpädagogen.“
H. von Hentig: Das Mitgefühl hat nicht ausgesetzt, es gilt einer anderen Personengruppe in anderer Lage. Eine sachliche oder logische Verbindung zum „pädagogischen Eros“ ist nicht zu erkennen, dient aber dazu, die Reformpädagogen „just“ mit diesem und mit einer Affinität zur Nazi-Ideologie zu verunglimpfen.
(5) Die „Anschlussfähigkeit“ dieser Pädagogen über „Autorität, Unterwürfigkeit und Führertum“ zum Nationasozialismus bahnt den Pfad zur Wiederholung des Vorwurfs, es gehe (auf diesem Forum) nicht mehr um die Frage, „ob Hentig etwas von der sexualisierten Gewalt wusste, es geht um die konsequente Fortführung des Missbrauchs“.
H.von Hentig: Als Ersatz für den hier dringend geforderten Nachweis der Beschuldigung müsse man wohl den folgenden Vorwurf lesen:
(6) „Die Lektüre von Hentigs Biografie offenbart Fragmente von Zitaten aus Briefen“ von Andreas Huckele an Gerold Becker während eines Schüleraustauschs mit englischen Schulen. „Hentig wurde nie von Huckele autorisiert“, diese zu zitieren.
H. von Hentig: Er habe etwa ein Dutzend Halbsätze aus Huckeles Briefen aus dem Jahr 1984 zitiert, die den Behauptungen von Jürgen Dehmers (Autoren-Pseudonym für Andreas Huckele) widersprächen, nämlich der Aufenthalt in England sei „die beste Zeit seiner (Huckele) Jugend gewesen und Becker habe ihm in dieser durch seine fast täglichen Briefe (angeblich 60 in drei Monaten, tatsächlich 20) zugesetzt. Für die Nachweise aus den 20 Briefen von Andreas Huckele („Du könntest ruhig mehr von dir hören lassen.“ „Schreib bald wieder“) bedarf es, wie Juristen versichert haben, keiner Autorisierung.
(7) Damian Miller behauptet, Hentig unterstelle, Andreas Huckele leide unter einem false memory syndrom und „seine ‚Verkorkstheit'“ rühre aus anderen Quellen (als dem Missbrauchs-Trauma).
H.von Hentig: Alle Symptome der „Verkorkstheit“ habe er Dehmers‘ eigener ausführlich nachzulesender Darstellung seiner Kindheit, Schülerjahre und Nach-OSO-Zeit entnommen. Das false-memory-Thema bringe ebenfalls Dehmers ein; er (Hentig) äußere sich nicht dazu.
(8) „Teile der (Hentig-) Biografie so wie die Website (der ‚Zustimmungscommunity‘) nähren den Verdacht, dass es sich um eine medial inszenierte Abrechnung eine gehörnten Ehemannes am vermeintlich obsiegenden Konkurrenten handelt.“
H. von Hentig: Er verzichte darauf, sich hierzu zu äußern, greife aber den unmittelbar folgenden Satz von Miller auf: „Gegen mögliche Klagen wurde vorgebeugt.“ Dieser und Millers kriminalistische Mutmaßungen zu noch im Umbruch des Buches „gelöschten Stellen“ erzeugen den Eindruck, es würden hier wesentliche /peinliche Wahrheiten unterschlagen. Hentig hat seinen Text von Juristen überprüfen lassen, um den Verlag ev. Einschwärzungen aus urheberrechtlichen und Personen-Schutz-Gründen zu ersparen. Die daraufhin ausgelassenen Passagen werden im Text bezeichnet, die Gründe genannt und die so entstandenen Lücken leer gelassen.
(9) Millers schwerster Vorwurf wiederholt den zuerst von Bernhard Pörksen erhobenen, dann von fast allen Rezensenten wiederholten, von Hentig spreche den Opfern ihre Würde als „intentionale Subjekte“ (also Menschen mit eigenem Willen) ab. Der „Übergriff“ bestehe darin, dass der Missbraueher suggeriere: „Auch du willst es.“
H. von Hentig: Dies sei die völlige Umkehrung dessen, was er tue: Er spreche den Opfern nicht nur nicht die ihnen von vielen Berichterstattern gedankenlos versagte, ja auch von ihnen selbst aufgegebene Selbstbestimmung ab, er bestehe vielmehr darauf, dass sie sie auch dort beanspruchen, wo sie sie nicht frei ausüben können. Hentig versagt ihnen die totale Opferrolle um ihrer Menschenwürde willen. Miller nennt dies „Machtmissbrauch“ der zweiten Ordnung. Hentig fragt, welche Macht er denn habe, die er missbrauchen könne. (Interssierte finden eine ausführliche Auseinandersetzung mit diesem Thema unter der Ziffer ( 6) in Hentigs „Replik“ auf die Pressemitteilung des Betroffenenrats vom 21.07.2016. Der „Dreisatz der Pädophilie“, dem Hentig angeblich folge, ist ein unlogisches und unlauteres Konstrukt.
(10) Miller schreibt, „Fakt ist: Die Berichte der Aufklärerinnen Claudia Burgsmüller und Brigitte Tilmann, „Pädagogik, Elite, Missbrauch“ von Jürgen Oelkers und „Wie laut soll ich denn noch schreien?“ von Huckele wurden nie entkräftet ( . . ) Wenn die Berichte nicht widerlegt sind und Hentig sich befleißigt, Beckers Lustobjekte als unzurechnungsfähig zu entmündigen, dann kann er nicht verteidigt werden.“
H. von Hentig: Viele – auch andere als die von Miller genannten Darstellungen des OSO-Skandals werden auf den 560 Seiten, die das Buch dem Missbrauch an der Odenwaldschule widmet, als mangelhaft befunden: ihr Zustandekommen, die in ihnen waltenden Widersprüche, die Pauschalität und Ungenauigkeit, ihre Auslegung und die auf ihnen beruhende Argumentation. Das heißt JEDOCH NICHT, dass die Tatsache sexualisierter Gewalt geleugnet wird. Wer die Bemühung um Versachlichung schon in der Bestandsaufnahme, vollends in der Deutung und in den Folgerungen, die das Forum einzuleiten versucht, so heftig verdächtigt, ja von vornherein zu diskreditieren versucht, verdient nicht in einer großen deutschen Zeitung Platz und Gehör zu finden.
Den vollständigen Text von Hartmut von Hentig finden Sie hier: