„Was K. zusätzlich verwirrte und auch ärgerte, war das ängstliche Beschweigen der Tragödie. Es nahm Opfer wie Täter nicht ernst. Man wahrte den schönen Schein einer heilen Welt. Man ging zur Tagesordnung über als wäre nichts geschehen. Von Hartmut Pfeffer sprach an dieser Hochschule fortan niemand mehr. Es war, als hätte es diesen Mann nie gegeben.“
PROF. DR. PETER KERN erzählt eine Geschichte von K., aus der Reihe: Dichtung und Wahrheit“, nachzulesen im „Haus des Verstehens“.
K traf sich mit seinem Kollegen Hartmut Pfeffer während des Semesters immer mittwochs nach dem Praktikum. Von acht bis zwölf Uhr hatten beide an getrennten Schulen den ihnen zugeteilten Studierenden über die Schulter zu gucken. Die jungen Leute für das Lehramt mussten bereits im ersten Semester eine Probestunde halten, ansonsten hospitierten sie bei bewährten Fachkräften der Schulpraxis. Pfeffer betreute eine 4.Klasse, K ebenso, wiewohl er sich in der Oberstufe wohler gefühlt hätte. Die schulpraktische Abteilung hatte aufgrund organisatorischer Zwänge anders entschieden; darauf wollte er keinen Einfluss nehmen. Und so blieb er bei den Grundschülern.
Für K waren die Praktikumsstunden am Mittwoch immer ein Balanceakt zwischen seiner, wie ihm immer wieder gesagt wurde, anspruchsvollen Theorie und der ihn dann herausfordernden Praxis.
Als Hochschullehrer war er Gast der Praktikumsschule, und die Kolleginnen und Kollegen, die sich freiwillig für die Betreuung der Studierenden bereitgefunden hatten, waren auf keinen Fall zu düpieren. Vorteile hatten diese Idealisten keine. Was ihnen der Staat für ihre Tätigkeit vergütete, blieb unterhalb eines Almosens. Nur einmal hatte K einen Lehrer zurückgewiesen. Dessen Umgang mit den Kindern hätte einen sofortigen Ausschluss vom Schuldienst zur Folge haben müssen. Ihn als Sadisten zu bezeichnen, wäre noch geschmeichelt gewesen. Aber einen Beamten wird man in Deutschland kaum wieder los, auch dann nicht, wenn er zum Alptraum für Kinder wird.
Das Gelingen des Praktikums hing ganz entschieden von der Mentorin oder dem Mentor ab. In seltenen Fällen schlug K ein kollektives Misstrauen entgegen. Solche Praktiker mussten schon einmal schlechte Erfahrungen mit den pädagogischen Besserwissern aus dem Elfenbeinturm der Theorie gemacht haben. K hatte rasch begriffen, selbst als Zweifelnder und Lernender aufzutreten. Das kam gut an. Verstellen musste er sich dabei nicht, es entsprach seiner Überzeugung.
Noch mehr gewann er die Gunst der pädagogischen Dompteure vor Ort, wenn er selbst immer wieder einmal eine Probestunde hielt. Dabei kam ihm zugute, dass er nach seinem Pädagogikstudium selbst einmal Lehrer gewesen war.
Wenn K im Praktikum unterrichtete, dann war die Erwartungshaltung immer hoch. Die Schüler wurden in aller Regel durch die Mentorin, – in der Grundschule gab es fast nur Frauen -, auf die Stunde eingestimmt, was bei ihnen eine verkrampfte Voreingenommenheit auslöste, ihrer Lehrerin und dem Professor besonders gefällig zu sein. Dass der Theoretiker auf dem Prüfstand stand, und nicht sie, überforderte die kleinen Gemüter. Diese Atmosphäre überzogener gutwilliger Bereitschaft wieder zu normalisieren, war nicht immer leicht.
Die Mentorinnen selbst erwarteten von K kleine bis mittelgroße pädagogische Wunder. Sie versäumten es nie, ihm im Vorfeld zu sagen, dass sie etwas ganz Besonderes sehen möchten, etwas, das jetzt die Lehre bestimme, gleichsam den neuesten Stand der Forschung, umgesetzt in Praxis, schließlich seien sie doch schon so lange raus aus dem Studium. Dass K auch nur mit Wasser kochen würde, dieser Hinweis verfing nicht. K musste sich schon etwas Außergewöhnliches einfallen lassen. Er deklarierte dann seine Stunde von vornherein als ein Experiment. Und Experimente können gelingen, aber auch scheitern. Das nahm ihm etwas vom Druck, den die Mentorinnen, nicht böswillig, aufgebaut hatten.
In den letzten Dienstjahren wurde er immer der gleichen Schule und der gleichen Mentorin zugeteilt, einer hoch kompetenten Persönlichkeit, die unaufgeregt und souverän ihr pädagogisches Handwerk beherrschte. Sie war selbstbewusst genug, nicht jeden beliebigen Innovationsunsinn untertänig mitzumachen. K bestärkte sie darin so gut er konnte. In ihrer Gegenwart verlor das Verkrampfte von oben und unten seine Bedeutung.
Die Studierenden lehnten sich an Tagen, an denen er unterrichtete, genüsslich mit der Frage zurück: Na, bringt er’s, oder bringt er’s nicht? Siegt er oder scheitert er, er, der im Kolleg so eloquent über Pädagogik zu reden verstand, wie sie nicht müde wurden, ihm zu sagen. Dieses dichotomische Sieger-Verlierer-Denken war aus den Köpfen nur schwer herauszukriegen. Schließlich wurden auch die Lehramtsstudierenden ein Leben lang nach diesem Strickmuster sozialisiert. Und im Studium unterlagen sie diesem fragwürdigen Schema wieder, so dass sie es auch an die nächste Generation weitergeben würden. Du bist gut, und du bist schlecht. Dass Menschen einfach nur anders sein könnten, ließ solches Denken nicht zu. Entweder bringen die Schüler es, oder sie bringen es nicht. Dafür gab es dann Noten von eins bis sechs, die ein Ranking festschrieben, auf das nun wirklich kein Verlass war. K war für die Studierenden jetzt in der Schülerrolle, bringt er’s oder bringt er’s nicht?
Selbstverständlich vollbrachte K in seinen Probestunden keine Wunder, und immer wieder stürzte er auch fröhlich ab. Auf diese Weise stutzte er sich selbst auf Normalmaß hinab. Der freie, problemorientierte Dialog konnte beginnen. Man lernte miteinander und voneinander auf Augenhöhe. Alle hatten sie etwas einzubringen. Die überzeugendsten Lehrmeister in den nachbereitenden Stundenbesprechungen waren die Schülerinnen und Schüler selbst. K bezog die Zehnjährigen immer wieder in die Stundenanalysen mit ein. Ihre erfrischende Spontaneität und ihre herzliche Offenheit waren für alle eine nachdenklich stimmende Bereicherung und Herausforderung. Die Erwachsenen, ob Studentin, Mentorin oder Hochschullehrer, lernten vom Opfer aus zu denken. Pädagogik vom Kinde aus, hieß das im Seminar in der Hochschule, doch dort war es nur graue Theorie.
Kollege Hartmut Pfeffer war ein kleiner, zurückhaltender Mann von ausgesuchter Höflichkeit. Zudem war ihm eine wohltuende Bescheidenheit eigen. Wenn Pfeffer und K sich in einem Gasthaus unweit der Hochschule zum Mittagessen niedersetzten, dann war das eine lustvolle Angelegenheit. Akademisches Imponiergehabe hatte in diesen Begegnungen keinen Platz, sie mussten sich nicht messen, wer der bessere sei. Sie konnten sich einander in ihrem Eigenrecht wie selbstverständlich gelten lassen. Und auch dem weit verbreiteten Tratsch über Kolleginnen und Kollegen und über Studierende gaben sie sich nicht hin.
Beide waren sie einem guten Essen nicht abgeneigt. Sie studierten kenntnisreich die Speisekarte, machten sich gegenseitig auf Spezialitäten aufmerksam, und als sich die Karte für sie erschöpft hatte, kam der Koch unaufgefordert an ihren Tisch und empfahl ihnen kleine Schweinereien, die nicht zu schwer im Magen liegen durften, denn am Nachmittag mussten beide noch Kolleg halten. Ein frischer Salat mit Scampi oder ein kleines Reisbett mit Tomaten gefüllten Medaillons vom Rind, Tournedos Rossini, waren den beiden sehr willkommen. Dass sie noch unterrichten mussten, trübte vor allem den Weingenuss. Auch Pfeffer bevorzugte wie K den schweren Médoc, der angesichts der Berufspflichten zu äußerster Zurückhaltung nötigte. Ein Achtele gönnten sie sich, und wenn sie übermütig wurden, und das kam gar nicht so selten vor, dann durfte es auch ein Viertele sein. Ein Chateau Saint-Aubin wurde nicht verachtet. Sie redeten sich ein, dass ihnen die Lehrveranstaltungen danach besonders gut von der Hand gingen. Vom einheimischen Spätburgunder hielten sie beide nicht so viel, genauer gesagt, nicht mehr. Auch wenn das Mauchener Sonnenstück, trocken, sich durch feine Qualität auszeichnete. Von ihm hatten sie wohl schon zu viel getrunken.
Beide waren Liebhaber Frankreichs, sie zählten sich zur Frankophilenfraktion. Ob Pfeffer das wirklich war, oder ob er diese Rolle nur bravourös spielte, vermochte K nicht zu entscheiden. Wie auch immer, beide hatten ihren Spaß. Beide erinnerten sich immer wieder voller Begeisterung an ihre Verkostungsorgien zwischen der Garonne und der Dordogne, Entre Deux Mers, diesem herrlichen Weinanbaugebiet Frankreichs. Nie hatten sie diese Weinproben gemeinsam erlebt, immer waren sie getrennt mit ihren Familien dorthin gefahren, K lange nur mit seiner Frau, später auch mit den Kindern, und Pfeffer ebenfalls mit seiner Frau und seinen Kindern. Ihre Vorlieben querten dann die französische Landkarte, Paris, diesen Moloch von Verkehr und Gestank, ließen sie zunehmend aus, aber die Provence hatte es ihnen angetan, dieses Land des Lichtes und der Leichtigkeit. Städtenamen waren für sie Musik: Arles, Aix, Avignon, auch Marseille, das seinen Ursprung in der phokäischen Kolonie Massilia hat. Vor allem aber wurden beide von der Region des Luberon gefesselt. Auch hier verzauberten sie Ortschaften, die so schön waren wie ihre Namen, beide vermochten diese alphabetisch aufzusagen: Bonnieux, Gordes, Lacoste, Lourmarin, Ménerbes, Oppéde-le-Vieux, Roussillion.
K und Pfeffer konnten nicht aufhören zu schwärmen. So ging ihnen der Gesprächsstoff während der Mittwochmittagsessen nie aus. Nur gelegentlich kamen sie auf die Praktikumserfahrungen des zurückliegenden Vormittages zu sprechen. Nie hörte K etwas Abwertendes von Pfeffer, weder über seine Mentorin noch über die ihm zugeteilten Studierenden. Emporbildendes Wohlwollen lag in seiner Stimme. Er muss ein Förderer und Mutmacher großen Maßes sein, dachte K. Sprach Pfeffer von den Schülerinnen und Schülern, dann glühte sein pädagogischer Eros. Welch ein Glück für die Zehnjährigen, diesem Vollblutpädagogen begegnen zu dürfen!
K bewunderte die unvoreingenommene und offenherzige Zuwendung seines Kollegen zu den Kleinen. Wenn er von ihnen erzählte, wurde seine Stimme noch einen Grad weicher, und seine Augen bekamen einen liebenden Glanz. K wurde fast neidisch auf die Fähigkeiten dieses Mannes. Was für ein Pädagoge! So vieles ließ sich lernen, pädagogisches Handwerk eben, aber die mentale Offenheit, Kinder, auch erst Zehnjährige, fremde Kinder allzumal, liebend anzunehmen, das kann man, oder man kann es nicht. Es gibt ihn wohl doch, den geborenen Erzieher, raisonnierte K und stieß auf Pfeffer mit einem Médoc an.
Dem war das Lob sogleich unangenehm, und K neutralisierte die ehrlich gemeinte und dezent geäußerte Bewunderung, indem er nun doch einmal auf seine aktuelle Vorlesung zu sprechen kam. In ihr versuchte K, den Schriften des Augustinus eine heute noch gültige Pädagogik zu entlocken. Dass K sich Augustinus zuwandte, erfreute seine katholischen Kollegen, dagegen wie er den Heiligen auslegte, dürfte weniger ihre Zustimmung gefunden haben. Große Mühe verwandte K darauf, den Studentinnen und Studenten den viel zitierten Satz über die Liebe auszulegen: „Liebe, und tue, was du willst!“ „Delige et quod vis fac:“ Oft findet man auch die Formulierung „ama et fac quos vis“, sagte er zu Pfeffer, doch so steht es nun mal nicht bei Augustinus.
Das war es, was er meinte, als er Pfeffers Zuwendung so positiv herausgestrichen hatte: Liebe, und tue, was du willst! Liebe ist nicht alles, aber ohne Liebe ist alles nichts. Das ist es doch, ereiferte sich K, was wir mit unserer berechnenden Wissenschaft gar nicht erreichen: Liebe. K war in seinem Element, und er überfiel Pfeffer mit seinem Herzensthema. Was sie heute Liebe nennen, das begreifen sie doch nur noch als hormonelle, drüsenbedingte Prozesse. Sie können nicht mehr unterscheiden zwischen Sexualität, Eros und Liebe. Und die Liebe ist das Höchste von allem.
Hartmut Pfeffer schwieg. K wertete das als Zustimmung. Nach dieser Mittagspause umarmten sie sich besonders innig. Dann gingen sie getrennt zu ihren Vortragsräumen. Es war ihr letztes Kolleg in diesem Wintersemester.
K sollte Pfeffer nie mehr wiedersehen.
Gleich am ersten Tag des neuen Semesters war die Hochschule voller Flüstern hinter vorgehaltenen Händen. Einer raunte dem anderen Unerträgliches zu. Sie alle hatten es schon in den Nachrichten gehört, auch in den überregionalen, hatten es mit ungläubigem Kopfschütteln in der Lokalpresse gelesen, hatten es mit Abscheu in der BILD-Zeitung gesehen: Ein Professor an einer Pädagogischen Hochschule hatte sich an zehnjährigen Jungen vergangen. Noch wurde der Name des Täters verschwiegen. Als Pfeffer seinen Dienst auch in der zweiten Semesterwoche nicht antrat, wurde wieder geflüstert, dann machten abermals Gerüchte die Runde, bis wenige Tage später aus den Gerüchten unabweisbare Gewissheit wurde. Ks sensibler Kollege Hartmut Pfeffer war der, so stand es in den Zeitungen, Kinderschänder.
Der Rektor war schon vor Wochen vom Kultusministerium darüber informiert worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelte inzwischen. Im Herbst sollte der Prozess beginnen. Alle waren sie ratlos, keiner mochte glauben, was da öffentlich geworden war. Nachdem niemand mehr den harten Fakten ausweichen konnte, kehrte man wieder zu Gerüchten zurück. Nun wollte so mancher schon so manches geahnt haben. Man flüsterte wieder. Die stille Post schlug Purzelbäume. Dem kalt kalkulierenden Rektor ging es um Schadensbegrenzung für sein Haus. Schließlich stand der Ruf der ganzen Hochschule auf dem Spiel. Mit staatstragender Stimme, die dem Manne eigen war, schwor er alle Hochschulangehörigen darauf ein, den Fall auf sich beruhen zu lassen. Er antizipierte im Geiste wohl schon die Schlagzeile in BILD: Pädophilensumpf an einer Lehrerbildungsstätte.
Wenn K im kleinen Kreis darum warb, die Tragödie aufzuarbeiten, dann drang er bei keinem durch. Dass eine Kultur des Verschweigens einer Pädagogischen Hochschule unwürdig sei, überzeugte niemanden. Dass Pädophilie spätestens jetzt in den Lehrplan von Studierenden der Pädagogik gehöre, empfanden sie als Zumutung. So breiteten sie alle die Decke des Schweigens über etwas, das schon morgen wieder Thema sein könnte. Denn ungeheuer ist viel, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch.
Hartmut Pfeffer kam noch einmal in die Medien. Er hatte sich seinem Prozess durch Freitod entzogen, durch feigen Mord, wie katholische Kollegen selbstherrlich höhnten. Pfeffer war in den Süden gefahren, hatte ein letztes Mal noch im Luberon Station gemacht, wie man später recherchieren konnte, und war von dort aus nach Marseille weitergefahren. Er suchte am Abend die Plages des Prado auf. Dort ist er im Meer der untergehenden Sonne entgegengegangen, bewehrt mit einem veritablen Küchenmesser. Er wollte sichergehen, dass es kein Zurück mehr gab. Und es gab auch keines.
K verstand nichts mehr. Er zweifelte an sich, an seiner Menschenkenntnis, er zweifelte am Menschen überhaupt. Nichts ungeheurer als der Mensch. Pfeffer, dieser kleingewachsene zierliche Mann voll von Sanftmut und Güte mit dem weiten Herzen für Kinder, soll sich zehnjährigen Buben in sexueller Absicht genähert haben. Von Kindesmissbrauch war die Rede.
Die Augustinus-Formel, liebe, und tue, was du willst, hatte schlagartig ihren Glanz verloren.
Das soll Pfeffer gemacht haben? Bei K sträubte sich alles gegen diese ernüchternde Erkenntnis. Nein, und nochmals nein, das konnte nicht stimmen, das durfte nicht wahr sein. Wenn überhaupt, dann hätte K eine solche Ungeheuerlichkeit einem anderen Kollegen zugetraut, dessen Namen auszusprechen er sich wohlweislich hütete. Aber Pfeffer, nein, unmöglich, undenkbar.
Betroffen fragte sich K, was eine Wissenschaft vom Kinde taugt, wenn sie den einen, Pfeffer, nicht davon abhält, übergriffig zu werden, und wenn sie den anderen, K, nicht in den Stand setzte, wahrzunehmen, welche Abgründe in dem von ihm so geschätzten Manne tobten.
Im Grunde wissen wir nichts vom Menschen, resignierte K.
Was ihn zusätzlich verwirrte und auch ärgerte, war das ängstliche Beschweigen der Tragödie. Es nahm Opfer wie Täter nicht ernst. Man wahrte den schönen Schein einer heilen Welt. Man ging zur Tagesordnung über als wäre nichts geschehen. Von Hartmut Pfeffer sprach an dieser Hochschule fortan niemand mehr. Es war, als hätte es diesen Mann nie gegeben. Auch sonst überall in der Republik wurde über Kindesmissbrauch nicht ernsthaft verhandelt.
Erst als der sexuelle Missbrauch am katholischen Canisius-Kolleg in Berlin öffentlich diskutiert wurde, brach der Damm des Schweigens. Andere Fälle folgten. Besonders dramatisch waren offensichtlich die Übergriffe in der reformpädagogischen Odenwaldschule.
K fragte sich, wieviel Leid einigen jungen Menschen erspart geblieben wäre, wenn schon damals die Verantwortlichen an seiner Hochschule den Mut aufgebracht hätten, was geschehen war, aufklärerisch mit Takt öffentlich zu machen.
Auch K sprach sich nicht frei von Schuld. Er hatte nur intern versucht, einen Dialog zu eröffnen. Er war zu vorsichtig, zu halbherzig vorgegangen. Er war damit gescheitert. K schrieb keinen Aufsatz über die Ereignisse an seiner Hochschule, er veröffentlichte kein Buch darüber. K lancierte auch keinen Aufruf „Stoppt den Kindesmissbrauch in Schulen und Hochschulen!“ Nicht einmal ein Seminar hielt er zu dieser Thematik ab. Die wenigen in seine Vorlesungen eingestreuten Bemerkungen zum Kindesmissbrauch mussten ohne Wirkung bleiben.
Auch K hatte damals versagt, vor allem jedem Jungen und jedem Mädchen gegenüber, das nach dem Ereignis in seiner Hochschule immer noch Opfer von sexuellem Missbrauch werden musste.
Mehr philosophische Peanuts von Prof. Dr. Peter Kern gibt es hier:
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