„Nachdem diese Website genügend lange versucht hat, zu einer diskursiven Aufarbeitung der Geschehnisse um Hartmut von Hentig zu kommen und die Gefahr des allmählichen Versandens der Aktivität im Raume steht, möchte ich gerne ein thesenartiges (Zwischen)Resümee versuchen“, schreibt MICHAEL FIER.
Es ist nicht anders zu erwarten, als dass der jeweilige Zeitgeist (definiert als vorherrschende und damit ja durchaus auch Perspektive und Ordnung schaffende Denk- und Fühlweise), sich darüber aufhält, warum ein Kritiker wegen Nichtbeachtung der gültigen Normen zu ächten ist. Mal ist es eine Todsünde, zu wenig christlich, dann zu wenig nationalistisch, im Dritten Reich zu fühlsam, aktuell dann reaktiv zu wenig fühlsam zu sein. Das sind Aufhänger, um nicht nachdenken zu müssen und erfolgreich am eigentlichen Thema, der Vermeidung sinnloser Übertreibungen des jeweiligen Zeitgeistes, vorbeiagieren zu können.
Wir erinnern uns, wie sich Hermann Hesse mit einer einzigen kurzen Aufforderung zur Mäßigung, seiner Schrift „O Freunde, nicht diese Töne!“, schon in jungem Alter eine Verfemung bis über seinen Tod hinaus zuzog.
Auch Hartmut von Hentig hat letztlich nicht viel mehr getan, als den alten delphischen Spruch „Nichts im Übermaß“ als eine der Grundlagen europäischer Geisteshaltung zu behandeln, die es zu verteidigen gilt. Sein „Fehler“ liegt in dem unermüdlichen Beharren darauf, dass wir uns nach der mittelalterlichen Übertreibung der Religiosität und der neuzeitlichen des Nationalismus mit ihren Folgen weitere Übertreibungen, etwa die des grenzenlosen Wettbewerbs oder die der Selbstabdankung des Menschen in einer digitalisierten Welt bei Strafe des Verlustes unserer europäischen Identität nicht mehr leisten können.
Hierzu kann man in seinen Schriften – besonders am Herzen liegen mir das kleine Reclamheft „Die Menschen stärken, die Sachen klären“, die Büchlein „Das allmähliche Verschwinden der Wirklichkeit“ und „Bewährung“ – Aufschluss finden und wir sollten sie bereithalten und den Mitmenschen bei sich bietender Gelegenheit „zur Hand geben“.
Ihm selbst aber darf man ein Wort des Aphoristikers Epiktet in Erinnerung rufen, dass ich frei wiedergebe: Man überlege sich vorher genau, welches Geschäft man ergreift. Wer zu den Olympischen Spielen will, wird nach Zwangsregeln essen müssen. Wer Philosoph (im antiken Sinne) wird, den werden die Sklaven (nämlich die ihrer Voreingenommenheit) verlachen.
Wir alle sind überrascht und traurig, dass dies so viele sind.
Michael Fier