Ein Zwischenfazit von JÜRGEN ZIMMER (BERLIN) und LUTZ VAN DIJK (KAPSTADT)
Berlin / Kapstadt, am 22. August 2016
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor zwei Monaten – am 22. Juni – schrieben wir an Sie und Euch einen Aufruf zum Diskurs über das neue Buch von Hartmut von Hentig.
Wir benannten damals, worum es uns vor allem geht:
“Schattierungen zu erkennen und Schwarzweißmalereien zu vermeiden. Den Dialog zu eröffnen meint, ihn auch öffentlich und nicht im privaten Raum zu führen. Es ist unser Wunsch, auch in Bezug auf Pädophilie und Pädagogik eine neue wissenschaftsgestützte Qualität der Diskussion herzustellen, die blinde Flecken benennt und aktuelle Erkenntnisse der Sexualforschung einbezieht, die Kinder und Jugendliche besser schützt und pädophil orientierten Menschen Lebenshilfe anbietet.”
Wir schrieben 47 Kolleginnen und Kollegen an, die zumindest einer von uns beiden persönlich kannte und von denen wir aus verschiedenen Gründen vermuteten, dass sie Interesse an so einem differenzierenden Dialog haben könnten.
Die Rückmeldungen spalteten sich in drei Gruppen: Etwa ein Drittel antwortete mit Dank und persönlicher Zustimmung, etwa ein weiteres Drittel äußerte eher kritische Gedanken (wobei ein Kollege darum bat, nicht mehr angeschrieben zu werden), etwa ein Drittel reagierte nicht.
Bereit zur eigenen Teilnahme an einem öffentlichen Diskurs (z.B. auf der Website zum Buch: www. noch-immer-mein-leben.de ) waren bisher nur einige Kolleginnen und Kollegen, andere aber nutzten für ihre Aussagen weitere Plattformen wie Leserbriefe an Zeitungen, die bislang durchweg negative Rezensionen des Buches veröffentlicht hatten, oder auch die Rezensionen-Website von Amazon.
Der Betroffenenrat, ein Fachgremium des Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs in Berlin, versandte am 21. Juli auf Briefpapier des Beauftragten eine Stellungnahme zum Buch über einen großen Verteiler an Presse und zahlreiche Organisationen, in denen der wamiki Verlag sowie namentlich Lutz van Dijk als „Dulder“, „Unterstützer“ und „Leugner“ von sexuellem Kindesmissbrauch angeklagt wurden. Eine Richtigstellung wurde weder beantwortet noch – wie erbeten – an den gleichen Verteiler versandt. Eine private Initiative verbreitete diese Stellungnahme gleichwohl als Strafaktion im Wohnhaus und in Geschäften der unmittelbaren Nachbarschaft von Hartmut von Hentig.
Was haben wir gelernt?
Eine Mehrheit unserer Kolleginnen und Kollegen hält die Zeit für einen öffentlichen Diskurs oder Dialog nicht gekommen. Einige wollen auch ausdrücklich keinen Diskurs, der einen Zusammenhang zwischen Pädagogik und Pädophilie kritisch und selbstkritisch diskutiert. Wir halten dies weiterhin für wichtig, auch und gerade in Bezug auf bessere zukünftige Prävention von sexuellem Missbrauch in pädagogischen Institutionen, egal ob konfessionell, privat oder staatlich, ob sich selbst eher progressiv oder konservativ verstehend.
Fraglos haben auch wir Fehler gemacht. Eine Website als öffentliche Plattform an den Verlag und das Buch von Hartmut von Hentig zu koppeln, war vermutlich zu wagemutig, möglicherweise auch irreführend, selbst wenn dies nur der Ausgangspunkt des Diskurses sein sollte. Da die bisher fortschrittliche und qualifizierte Arbeit des Verlags kaum geleugnet werden konnte, verstieg sich ein Kritiker zu der Aussage, dass es hier nun so sei, als wenn ein Verlag, der bislang Bücher gegen Rechtsextremismus veröffentlicht habe, nun auch jene von Holocaust-Leugnern auf den Markt bringen würde. Immerhin: Die Verlagswebsite zum Buch (www.noch-immer-mein-leben.de) wird seit Wochen täglich von mehr als 300 Interessierten besucht.
Auch wenn es für eine notwendige öffentliche Differenzierung darüber hinaus bislang nur ein eher kleines Publikum zu geben scheint, so bereuen wir doch nicht den Versuch dazu. Wir danken allen, die uns bisher geantwortet haben, unterstützend oder auch kritisch.
Von verschiedenen Seiten gibt es Anregungen, den Diskurs anders weiter zu führen:
Mit einer überarbeiteten, neu ausgerichteten Website oder auch in einer Fachtagung, wo (selbst-)kritisches Nachdenken in direktem Gespräch ohne persönliche Anfeindungen vorstellbar ist.
Auch wir werden uns weiter für das Ansprechen blinder Flecken in der Missbrauchsdebatte in pädagogischen Einrichtungen engagieren wie wir das Recht von (ehemaligen) Opfern unterstützen, endlich gehört und ernst genommen zu werden.
Und wir werden die Hoffnung nicht aufgeben, dass im gemeinsamen Interesse wirksamerer zukünftiger Prävention von jeder Form sexuellen Missbrauchs einmal ein fairer Dialog möglich sein wird.
Mit freundlichen Grüßen,
Jürgen Zimmer und Lutz van Dijk
Es ist die Gründlichkeit des Nachdenkens und die Verbindung von Selbstkritik mit dem Überblick über fünf Jahrzehnte, die Hentigs Buch so wichtig und unbedingt empfehlenswert macht.